Die Situation heute
Auch heute noch sind viele Gleise der St.-Petersburger Straßenbahn ausgefahren und besonders die Weichen bedürfen einer dringenden Reparatur. Nicht selten kommt es vor, das die Gleise einfach im Matsch versinken, wenn ein Wagen darüber fährt. Der katastrophale Zustand macht den Wagen sehr zu schaffen. Um die Verschleisserscheinungen so gering wie möglich zu halten, muss das Tempo der Straßenbahn oft erheblich verringert werden. Es gibt Streckenabschnitte, auf denen nur in Schrittempo gefahren werden darf. Allerdings begann man 1998 auch mit der Rekonstruktion der Gleise im Innenstadtbereich und hat seither gerade die Außenstrecken modernisiert. Seit 2007 verkehrt die erste beschleunigte Linie “100” über den modernisierten Prospekt Prosweschtschenija.
Der Betrieb ist trotzdem mit der Größe des Netzes eindeutig überfordert. Es gibt schon lange keinen Fahrplan mehr, der für die Fahrgäste auch einsehbar wäre. Es können immer nur so viele Wagen eingesetzt werden, wie betriebsfähig sind. Ein großer Teil des rollenden Materials steht in den Depots und wartet auf die Reparatur. Die Fahrpreise sind mit inzwischen 14 Rubeln pro Fahrt (ca. 38 Ct.) zwar für russische Verhältnisse sehr teuer, diese Einnahmen reichen dem Betrieb aber bei Weitem nicht mehr aus. Auf allen Linien werden seit 1997 wieder Schaffner eingesetzt, da die Schwarzfahrerquote enorm angestiegen war. Die Schaffner haben in den Wagen einen Schaffnerplatz, müssen aber auf einigen Linien zwischen den Wagen einer Traktion hin und her springen, da es einen enormen Personalmangel gibt.
Ein Großteil der Fahrgäste wird aber auch weiterhin kostenlos befördert bzw. erhalten eine teils lächerliche Kompensation vom Staat. Hierbei handelt es sich um Rentner, Überlebende der Blockade, Veteranen des Großen Vaterländischen Krieges (wie der Zweite Weltkrieg in Russland heisst) Kinder und Invaliden.
Besonders zu schaffen macht der Straßenbahn die Konkurrenz durch sogenannte Marschrutkis. Hierbei handelt es sich um Kleinbusse, die auf festgelegten Linien fahren. Sie haben keine Haltestellen, und man kann ein- und aussteigen, wo man will. Die privaten Unternehmen führen ihre schnellen Taxis oft genau parallel zu den langsamen Straßenbahntrassen. Jeder der sich die 20-50 Rubel leisten kann, steigt dann natürlich lieber hier ein, als ewig auf die Bahn zu warten. Die Marschrutkis fahren auf den Hauptstrecken in einem sehr dichten Intervall.
Das Jahr 2003 brachte die größten Veränderungen der letzten Jahrzehnte. Mit einem radikalen Eingriff in die Depotstruktur wurden mit einem Schlag zwei Depots geschlossen und zwei weitere zu Abstellflächen degradiert. Ein Großteil des Netzes auf der Wassilijinsel wurde stillgelegt und auch auf der Petrograder Seite kam es zu umfangreichen Stilllegungen. Ein Großteil des Wagenparks wurde verschrottet. Seither wurden jedes Jahr umfangreiche Einstellungen auch von gerade erst modernisierten Strecken durchgeführt. Bis zum Jahre 2007 fielen etwa 100 km Gleise der straßenbahnfeindlichen Politik zum Opfer. Von den mehr als 1800 Wagen, die noch 2001 in Betrieb standen wurden bis heute fast 700 (!) verschrottet.
Prinzipiell kann man sagen, dass die Straßenbahn in Sankt-Petersburg weiter bestehen bleibt. Sie wird sich aber zu einem Metrozubringer zurück entwickeln und in den zentralen Stadtteilen keine Zukunft mehr haben. Man begeht heute die gleichen Fehler in Russland, die man vor 30 Jahren in Westeuropa begangen hat. Nur der Geldmangel zum Ausbau der Metro wird der Straßenbahn noch ein Überleben sichern.
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