Neue Aufgaben für die Straßenbahn
Die Mobilisierung begann in Leningrad offiziell erst am 23.Juni 1941. Es erschienen jedoch so viele Freiwillige bei den Meldestellen, daß man sofort mit ihrer Registrierung begann, vielerorts schon am Abend des 22. Juni[1]. Unter den 312.000 Freiwilligen, die sich in der ersten Woche zum Dienst in der Armee meldeten waren auch 4500 Mitarbeiter der Leningrader Verkehrsbetriebe[2]. Um die entstehenden Lücken besonders im Fahrdienst auszugleichen, wurden 350 Mitarbeiter, vor allem Schaffner, zu Fahrern ausgebildet[3]. Doch diese Zahl reichte natürlich bei Weitem nicht aus. Zu Hunderten kehrten die pensionierten Fahrer an ihre alten Arbeitsplätze zurück und übernahmen auch die Ehefrauen der eingezogenen Männer Aufgaben auf den Wagen und im Betrieb .
Mit dem Beginn des Krieges veränderten sich die Aufgaben der Straßenbahn. Zwar diente sie weiterhin als Verkehrsmittel für die Bevölkerung, doch übernahm sie nun auch ganz andere Transporte. Durch den städtischen Verkehrsbetrieb wurden allein 1941 2006mal Straßenbahnwagen bereitgestellt um insgesamt 230.000 Soldaten an die Front zu fahren, endeten doch die Linien zum Kirow-Werk direkt an der Frontlinie. Speziell umgebaute Wagen der Bauart LM-33 verkehrten als Krankenwagen zwischen den Bahnhöfen der Stadt und den Krankenhäusern. Die Straßenbahn fuhr die Post aus, transportierte Arbeiter bis zu den Stellen, an denen die Schützengräben ausgehoben werden sollten und das Wichtigste: sie fuhr Tausende zu Evakuierende zu den Bahnhöfen. Dazu erinnert sich die Straßenbahnfahrerin des Leonow-Depots A.N.Wasilewa: "Ende 1941 erging der Befehl zur Entsendung der Kinder aus der Stadt über die Ladoga-Trasse. Man hat sie in der Stadt eingesammelt, bis zum Gorny-Institut gebracht und von dort aus weiter mit der Straßenbahn bis zur Abfahrtsstelle am Ladoga. Mein ganzes Leben werde ich mich an die Tragödie des Abschiedes der Kinder und ihrer Mütter erinnern. Es war ein durchdringender Schrei und Weinen, die erschöpften Kinder waren nur mit Mühe von ihren Müttern zu lösen. Ja und die Mütter selbst waren in Panik, viele verfielen in Hysterie, einige wurden ohnmächtig. Niemand von ihnen wußte schließlich, ob man sich für lange von den Kindern trennte und man wurde den Gedanken nicht los, war es vielleicht für immer? [...] Zu meinen Aufgabe gehörte es, sie [die Kinder] bis zur Sammelstelle zu bringen. So rücksichtsvoll und vorsichtig wie ich nur konnte habe ich meine Straßenbahn geführt [...]. Die Straßenbahn unser lieber Freund und Helfer glitt über die Gleise, unbeirrt vom Luftalarm und dem beginnenden Artilleriebeschuß. Zusammen mit ihm, meinem teuren Freund habe ich auch den Tag des Sieges getroffen. Unsere Leningrader Straßenbahn rechne ich auch zu den Teilnehmern des Großen Vaterländischen [Krieges]."[4]
Die Werkstätten der Depots hatten nun wichtigere Dinge zu erledigen als Straßenbahnen zu reparieren. Hier wurden Granaten, Minen und Teile von Panzern produziert. Doch die wichtigste Hilfe für die Front stellten die Panzerkreuze dar, die aus Straßenbahnschienen hergestellt wurden und auf vielen Fotos dieser Zeit zu sehen sind.
[1] SALISBURY, Harrison E.: 900 Tage, Die Belagerung von Leningrad, S.168 [2] KANTOROWITSCH, B.S.: Peterburgskij trollejbus, S.5 [3] GORLIN, J.N.: Leningradskij tramwaj 1941-1945, S.13 [4] ebenda, S.52
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