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Blockade | Блокада

 

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Straßenbahn in Kriegsgefangenschaft
übersetzt nach Sergej Gleserov in Nevskoe Vremja, 12.09.2001 (текст на русском)

Die Leningrader Blockade bewahrt [noch immer] viele interessante Momente, über die auch bis zum heutigen Tage nur Wenige bescheid wissen. Einer davon ist verbunden mit einem Ereignis, welches sich vor genau 60 Jahren, Mitte September 1941 abspielte, als die deutschen Truppen zum Finnischen Meerbusen vordrangen. Das ist die Geschichte über die kriegsgefangene Straßenbahn in Strelna, welche eine Abbildung im Roman `Die Blockade` von Alexander Tschakowskij findet. (vgl. Farbsequenzen des Films auf der Hauptseite der Kategorie “Blockade” (0:24 - 1:20 Minuten)

In der Version des Schriftstellers stießen abends Soldaten eines vorrausgeeilten deutschen Zuges auf die Straße, welche von Urizk nach Peterhof führt und trafen dort unerwartet auf eine Bahntrasse. `Da man keine Schwellen entdecken konnte, vermutete der Bataillonskommandeur, es handle sich nicht um Eisenbahn-, sondern um Straßenbahnschienen`. Die Deutschen waren erstaunt und fröhlich: wenn es eine Straßenbahn ist, dann heißt das, sie sind schon in die Stadt vorgedrungen und dafür gab es den lang ersehnten Urlaub im `Vaterland`. Zu diesem Zeitpunkt wurde in der Ferne ein kleiner schwarzer Punkt sichtbar, der sich näherte und wuchs. Durch den Feldstecher wurde zweifelsfrei klar, dass es eine Straßenbahn war. Am Anfang dachten die Deutschen, dass die Russen sie für die Umlegung von Verstärkung [nutzten] oder sie mit Sprengsätzen bestückt und mit einem Zeitzünder versehen hätten, damit der Waggon bei den Deutschen explodieren würde. Sich duckten sich, doch als die Straßenbahn ankam, stiegen aus ihr normale Bürger aus. Sie wussten noch nicht, dass die Deutschen schon in Strelna eingedrungen waren. Die Überraschung auf beiden Seiten war riesig.

Was geschah weiter? Nach Ansicht A. Tschakowskis, die ihre kinematische Umsetzung im Epos „Die Blockade“ fand, dirigierte der Straßenbahnfahrer den Wagen direkt in den Haufen ausgelassener Deutscher, woraufhin diese in unendlicher Wut ihn und die anderen Fahrgäste die sich im Wagen befanden, aus nächster Nähe erschossen.

Später erhielt Hitler vom Korpsstab die Mitteilung, dass die deutschen Angriffsspitzen eine Linie der städtischen Straßenbahn Leningrads erreicht hätten.

Natürlich wussten die Deutschen nicht, dass dies keine städtische Straßenbahn, sondern die einzigartige erste russische Überlandstraßenbahn war – die Oranienbaumer elektrische Eisenbahn (kurz ORANELA), die noch vor der Revolution gebaut worden war. Sie sollte seinerzeit eigentlich bis nach Oranienbaum führen, doch fuhr die Straßenbahn tatsächlich nur bis nach Strelna, wo der Fürst A.D. Lwow ein Stück seines Anwesens für die Anlage der Wendeschleife opferte. 1926 wurde der Streckenteil Oranienbaum-Strelna abgebaut. Die ausgebauten Gleise, Schwellen und andere Ausrüstung wurden für den Bau der elektrischen Eisenbahn Baku – Sabuntschi – Surukhany verwendet. An Ort und Stelle verblieben nur die unverwüstlichen Eisenbetonbrücken, die man bis heute im Wald nahe Martyschkina sehen kann.

Was die Geschichte mit der `kriegsgefangenen` Straßenbahn angeht, so stimmt diese tatsächlich. Heute ist es schwer einzuschätzen, ob der Heldenmut des Straßenbahnfahrers wahr ist, ebenso, ob die Deutschen wirklich so grausam mit den gefangenen Passagieren umgegangen sind. Aber die alten Einwohner von Strelna erinnern sich, dass diese `kriegsgefangenen` Straßenbahn tatsächlich den ganzen Krieg über im, von den Deutschen besetzten Strelna in der Wendeschleife nahe des ehemaligen Schlosses des Fürsten Lwow stand.

Und auch noch einige Jahre nach dem Krieg stand dieser stumme Zeuge. Bis zum Jahre 1947, als man begann die Wendeschleife abzubauen (sie wurde zur Stadt vorgezogen – dorthin, wo sich auch heute noch die Schleife der Linie 36 befindet). Dabei wurde der völlig verrostete und zerstörte Wagen von den Gleisen gehoben und zum Schrott gebracht.

Einige Jahre später fand diese Geschichte ihre Fortsetzung. Als Vertreter der historischen Gesellschaft der deutschen Stadt Bad Homburg [?] auf Einladung der Gemeindevertretung nach Peterhof kamen, hatte sie deutsche Archivfotografien mit Ansichten von Peterhof und Strelna bei sich. Auf einem der Bilder, datiert auf das Jahr 1942, war eben diese `kriegsgefangenen` Straßenbahn zu sehen. Der Peterhofer Historiker W. Guschtschin gab es an das Museum `Marine Strelna´ weiter und dessen Direktor Oleg Warenik hatte die Idee unbedingt an diese „kriegsgefangene“ Straßenbahn zu erinnern – ein Schild an der Stelle der ehemaligen Wendeschleife aufzustellen oder gar einen alten Straßenbahnwagen hier aufzustellen, eben so einen, wie sie damals vor dem Krieg hier fuhren. Die Idee fand Zustimmung bei den örtlichen Organen und Anfang diesen Jahres genehmigte sie der Munizipale Rat der Siedlung Strelna, doch die Sache verlief wie so oft aufgrund fehlender Mittel im Sande.

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Die Strelna-Überlandbahn unter deutscher Besatzung

Nach dem Lesen dieses Artikels oben könnte der Eindruck entstehen, daß nur ein Zug oder gar nur ein Wagen in Strelna zurückgeblieben ist. Die von deutschen Wehrmachtsangehörigen gemachten Fotos sprechen allerdings eine ganz andere Sprache. Neben dem im Artikel angesprochenen Wagen Nr. 4447 des Typs LM-33 (siehe Foto oben), sind auf den Bildern noch weitere Züge aus MS/MP-Wagen zu sehen. Auch die Aussage von P.P. Mokhowa, Straßenbahnfahrerin des Smirnow-Depots verdeutlicht, daß mehrere Züge in Strelna blieben: `Wir standen in der Wendeschleife in Strelna. Da kommt ein Uniformierter angelaufen, mit einem Päckchen in der Hand für die Kommandantur. [...] er bittet uns ihn so schnell wie möglich zum Stab zu bringen. Die Stationsleiterin ließ uns sofort abfahren. Ich beschleunigte meinen `Troinik` [Dreiwagenzug] und als wir die Schleife gerade verlassen hatten, fiel der Deutsche auch schon in Strelna ein. Die Züge die nach Fahrplan fuhren ... blieben alle dort. Am nächsten Morgen schickte man einen Dienstwagen nach den Arbeitern. Er kam nicht mehr zurück.` Auch der ehemalige leitende Ingenieur W.M. Nemser berichtet von Zügen die auf der Strecke nach Strelna in die Hand der Deutschen fielen: `Am 15.September 1941 brachen die deutsch-faschistischen Truppen von Gerlowa nach Strelna durch und schnitten die Strelna-Linie ab. Ein Geschoss schlug in das Unterwerk in Strelna ein und die Stromzufuhr wurde unterbrochen. Genau zu dieser Zeit fand der Transport von Verwundeten aus dem Gebiet um Strelna statt. Ca. 20 Züge aus vierachsigen Wagen [LM -33/LP-33] befanden sich auf der Strecke nach Strelna. Nach der Unterbrechung der Stromzufuhr flüchtete das Bahnpersonal, die Passagiere und die Verwundeten unter Beschuß entweder nach Leningrad oder Strelna. Die die nach Strelna flohen, fanden sich im besetzten Gebiet wieder. Die Waggons blieben auf der Strecke bis zum Ende der Blockade 1941 stehen. Natürlich waren sie alle völlig unbrauchbar und es blieben nur die Drehgestelle und Rahmen übrig.`

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